Die DeFi-Revolution — Wenn die Blockchain die Banken herausfordert

Systemwechsel in Sicht?

Hinweis: Die Inhalte auf dieser Seite dienen ausschließlich informativen Zwecken und stellen in keiner Weise eine Finanz-, Rechts-, Steuer- oder Anlageberatung dar.

Bankschalter, Überweisungsträger aus Papier und EC-Karten — sind das Relikte einer längst vergangenen Zeit? Für den durchschnittlichen Bankkunden ist jedenfalls eines klar: Geschäftsbanken sehen ihr Kerngeschäft in anderen Bereichen als noch vor zehn oder gar zwanzig Jahren. Zahlreiche Filialschließungen und sogar die Einstellung des Bargeldverkehrs sprechen eine deutliche Sprache. Die Raiffeisenbank Hochtaunus hat sich zu einem radikalen Schritt entschlossen. Seit 2022 können Kunden kein Bargeld mehr in den Filialen der Bank abheben oder einzahlen. Da die meisten Transaktionen digital abgewickelt werden, ist das Geschäft mit Bankkunden und dem Bargeld für viele Geschäftsbanken unrentabel geworden.

Die Raiffeisenbank Hochtaunus ist nur ein Beispiel dafür, dass sich das traditionelle Finanzsystem (TradFi) in einem tiefgreifenden Transformationsprozess befindet. Während traditionelle Finanzinstitutionen jahrzehntelang die Finanzinfrastruktur dominierten, stellt das dezentrale Finanzsystem (DeFi) eine revolutionäre Alternative dar, die grundlegende Prinzipien des Finanzwesens in Frage stellt.

In diesem Artikel klären wir die Unterschiede und Funktionsweisen zwischen TradFi und DeFi. Außerdem gehen wir der Frage nach, ob DeFi eine Alternative für Anleger sein kann.

Vom klassischen Banking zu DeFi

Traditionelles Finanzsystem

Ein Bankkonto und damit der Zugang zum Zahlungsverkehr ist für die meisten Menschen in Deutschland eine Selbstverständlichkeit und zugleich eine Notwendigkeit, um überhaupt am Leben teilnehmen zu können. Ohne Bankkonto geht im Alltag so gut wie nichts: Das Gehalt kann nicht überwiesen, Rechnungen können nicht bezahlt werden.

Kurzum: Wir alle sind auf den Zugang zum Zahlungsverkehr angewiesen, der durch die Banken gewährleistet wird. Doch nur in den seltensten Fällen macht man sich als Bankkunde Gedanken über das System, das hinter der eigenen Geschäftsbank steht. Werfen wir daher einen Blick auf die wichtigsten Akteure.

Das traditionelle Finanzsystem basiert auf zentralisierten Institutionen wie:

  • Banken (Geschäftsbanken, Investmentbanken)
  • Zahlungsdienstleister
  • Versicherungen
  • Zentralbanken
  • Börsen

Diese Institutionen sind hierarchisch organisiert und staatlich reguliert. Das bekannteste Beispiel ist das Bankensystem mit der EZB an der Spitze in der Eurozone. Zentral oder zentralisiert ist der Schlüsselbegriff. Das bedeutet wiederum, dass Intermediäre die Transaktionen kontrollieren, was mit hohen Kosten und langen Transaktionszeiten verbunden ist. Besonders deutlich wird dies bei einer Überweisung außerhalb des SEPA-Raums, die manchmal mehrere Tage dauern kann.

Dezentrales Finanzsystem (DeFi)

Krypto-Ökosysteme sind das Herzstück des DeFi. In vieler Hinsicht sind sie das genaue Gegenteil von TradFi:

  • dezentral, nicht-hierarchisch organisiert
  • nicht abhängig von Kontrollinstanzen wie Zentralbanken, Landeszentralbanken, Geschäftsbanken
  • keine staatliche Aufsicht, die Regeln zur Regulierung der Zahlungsströme erlässt.

DeFi nutzt innovative Technologien wie Blockchain und Smart-Contracts, um Finanzdienstleistungen zu dezentralisieren und Zwischenhändler zu ersetzen. Dadurch werden direkte Peer-to-Peer-Transaktionen möglich, die Transparenz für alle Beteiligten gewährleisten. Der größte Anteil der Nutzer sind im DeFi Privatanleger.

Ein Größenvergleich: Der Umsatz im DeFi lag im Jahr 2023 etwa zwischen 40 und 50 Milliarden US-Dollar, während sich der globale Bankenumsatz im gleichen Jahr auf 10-12 Billionen US-Dollar belief.

Hauptmerkmale des DeFi

  • Transparenz durch Technologie

    Die Transparenz und Dezentralisierung bilden das Fundament des DeFi. Jede Transaktion wird öffentlich auf der Blockchain dokumentiert, was Manipulationen praktisch unmöglich macht. Anstelle zentraler Institutionen werden Finanztransaktionen durch Smart Contracts gesteuert — selbstausführende Verträge, die Bedingungen präzise und unveränderlich festlegen.

  • Globaler Zugang für alle Menschen

    Ein Kernmerkmal von DeFi ist seine beispiellose Zugänglichkeit. Während traditionelle Banken oft hohe Eintrittsbarrieren errichten, öffnet DeFi die Türen zu Finanzdienstleistungen für Menschen weltweit, die bislang vom Bankensystem ausgeschlossen waren. Ohne komplizierte Bonitätsprüfungen oder Mindesteinlagen können Nutzer direkt an Finanzaktivitäten teilnehmen.

  • Minimale Kosten und schnelle Transaktionen

    Die Kosteneffizienz ist ein weiterer entscheidender Vorteil. Durch direkte Peer-to-Peer-Transaktionen entfallen Gebühren oder sie reduzieren sich auf einen geringen Betrag. Außerdem gibt es keine Begrenzung der Beträge, die überwiesen werden können. Dabei spielt es keine Rolle, ob man im Café um die Ecke bezahlt oder eine Überweisung auf einen anderen Kontinent tätigt. Die Finanzdienstleistungen stehen rund um die Uhr zur Verfügung und erfolgen oft in Echtzeit — eine Unmöglichkeit im traditionellen Bankensystem.

Innovationspotenzial — DeFi hat die Nase vorn

Es überrascht nicht, dass DeFi-Projekte deutlich innovativer sind als die traditionelle Finanzwelt. Die Organisationsstruktur und die zugrundeliegende Technologie ermöglichen eine schnellere Produktentwicklung zugunsten flexiblerer Finanzinstrumente, die nun das TradFi vor Herausforderungen stellt. Denn immer mehr Menschen machen die Erfahrung, dass Banking kostengünstiger und schneller funktionieren kann, um nur ein Anwendungsbeispiel von DeFi zu nennen.

Experimentierfreude und das Streben nach technologischer Weiterentwicklung gehören zum Geschäftsmodell von Kryptoprojekten, die sich auf einem freien Markt behaupten müssen. Die Suche nach der besten Lösung steht im Vordergrund, während Banken auf Basis eines staatlich geschützten Monopols arbeiten. Traditionelle Finanzinstitutionen haben sich bisher eher zurückhaltend gegenüber Innovationen gezeigt, da sie komplexeren Entscheidungsprozessen unterliegen. Zudem müssen die Banken hohe regulatorische Hürden von staatlicher Seite überwinden.

DeFi-Anwendungen

DeFi hat eine Reihe neuartiger Finanzprodukte ermöglicht. Konzepte wie Liquidity Mining und Yield-Farming eröffnen völlig neue Wege der Vermögensanlage. Das Beleihen von digitalen Assets oder die Tokenisierung von Vermögenswerten wie Immobilien oder Aktien demonstrieren die Flexibilität dieses Systems.

Hier sind einige wichtige DeFi-Anwendungen und -Projekte:

  1. Lending/Borrowing-Plattformen

    • Aave: Dezentrales Kreditprotokoll
    • Compound: Automatisierte Zinssätze für Kryptoassets
    • MakerDAO: Stablecoin DAI und Kreditvergabe
  2. Dezentralisierte-Börsen (DEXs)

    • Uniswap: Automatisierter Marktmacher (AMM)
    • PancakeSwap: Blockchain-Swap auf Binance Smart Chain
    • SushiSwap: Gemeinschaftlich betriebene Handelsplattform
  3. Liquidity-Mining

    • Curve Finance: Stablecoin-Liquiditätspool
    • Yearn Finance: Automatische Renditeoptimierung
  4. Synthetische Vermögenswerte

    Synthetische Assets sind digitale Token, die den Wert eines anderen Vermögenswerts abbilden, ohne dass dieser direkt besessen wird.

    • Synthetix: Handel mit synthetischen Assets
    • Mirror Protocol: Tokenisierung von Aktien
  5. Derivate/Optionen

    • Opyn: Dezentralisierte Optionsplattform
    • dYdX: Krypto-Derivate und Margin-Handel

Diese Projekte sind DeFi-Anwendungen auf Blockchain-Netzwerken wie Ethereum, Binance Smart Chain und weiteren wichtigen Blockchains. Die Übersicht zeigt auch, dass DeFi, neben den innovativen Anwendungen, viele Finanzinstrumente des TradFi abbildet.

Code is law

Die Besonderheit von DeFi liegt in der Unveränderbarkeit und Exaktheit des Programmcodes, der als “Smart Contract” fungiert. Im Gegensatz zu traditionellen Finanzsystemen, bei denen menschliche Interpretationsspielräume und Verhandlungsmöglichkeiten eine Rolle spielen können, basieren DeFi-Transaktionen ausschließlich auf vordefinierten, mathematisch exakten Regeln.

Der Code selbst wird zur verbindlichen Instanz: Was programmiert ist, wird genau so ausgeführt — ohne Ausnahme. Dadurch entsteht ein hochgradig transparentes und berechenbares Umfeld, in dem Vertrauen nicht durch Institutionen, sondern durch mathematische Algorithmen hergestellt wird.

Diese Eigenschaft wird oft als “Code is Law” bezeichnet — ein Prinzip, bei dem der Programmcode Transaktionen und Interaktionen definiert und durchsetzt.

Chancen und Risiken

Das dezentralisierte Finanzsystem verspricht revolutionäre Veränderungen, birgt aber auch Risiken, die Investoren und Nutzer sorgfältig abwägen müssen.

  1. Sicherheit

    An erster Stelle stehen technische Sicherheitsherausforderungen. Smart Contracts, das Herzstück der DeFi-Plattformen, sind hochkomplex und anfällig für Schwachstellen. Bereits mehrfach haben Hacker Sicherheitslücken ausgenutzt und Millionenbeträge erbeutet. Gleichzeitig entstehen immer mehr KI-Tools, mit denen Nutzer die Sicherheit von Smart Contracts überprüfen können. DeFi-Nutzer sollten Smart Contracts auf Audits prüfen und zu ihrer eigenen Sicherheit nur auditierte Protokolle verwenden.

  2. Regulierung

    Die Regulierungslandschaft ist — weltweit betrachtet — nahezu undurchsichtig. DeFi-Plattformen bewegen sich oft in einer rechtlichen Grauzone ohne klare staatliche Regulierung und Absicherung. Diese Unsicherheit birgt das Risiko plötzlicher regulatorischer Eingriffe, die das gesamte Ökosystem destabilisieren können. Gleichzeitig gibt es einen Trend, dass immer mehr Länder und Regierungen eine kryptofreundliche Regulierung anstreben.

  3. Technische Komplexität

    Eine weitere große Herausforderung ist die technische Komplexität. Für Krypto-Neulinge sind die Mechanismen von DeFi-Plattformen zunächst nicht leicht zu verstehen. Daher ist es wichtig, sich mit den grundlegenden Funktionsweisen und DeFi-Tools vertraut zu machen.

  4. Liquiditätsproblem

    Ein weiterer kritischer Aspekt ist das Liquiditätsrisiko. Yield Farming und Liquiditätspools können schnell in Liquiditätsprobleme geraten. Die Abhängigkeit von komplexen Marktmechanismen macht die Nutzer anfällig für abrupte Systemveränderungen. Eine Parallele zum Liquiditätsproblem findet sich im klassischen Aktienmarkt, wo wenig gehandelte Aktien an einer Börse auch zu Liquiditätsproblemen beim Kauf oder Verkauf führen können.

Fazit

  • DeFi steht erst am Anfang seiner Entwicklung. Derzeit überwiegen Privatanleger. Institutionelle Anleger zeigen zwar wachsendes Interesse, werden aber von regulatorischen Unsicherheiten abgehalten.

  • DeFi-Projekte stehen in einem gesunden Wettbewerb untereinander, der kontinuierliche Innovation fördert. Anders als im traditionellen Finanzsystem können neue Lösungen schnell getestet und implementiert werden.

  • Die zugrunde liegende Technologie birgt ein enormes Potenzial, das globale Finanzsystem zu verändern und demokratischer, transparenter und effizienter zu gestalten.

  • Das TradFi kann sich der technologischen Innovation, die aus dem DeFi kommt, aus Wettbewerbsgründen nicht verschließen. Kooperationen zwischen traditioneller Finanzwirtschaft und DeFi entwickeln sich langsam. Banken zeigen Interesse an der Blockchain-Technologie und an der Nutzung von Smart Contracts für Finanzdienstleistungen.